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Warum Brasiliens Versagen im Kampf gegen Covid-19 die ganze Welt bedroht

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Warum Brasiliens Versagen im Kampf gegen Covid-19 die ganze Welt bedroht

Analyse unseres Partnerportals „Economist“: Warum Brasiliens Versagen im Kampf gegen Covid-19 die ganze Welt bedroht

Mit 2300 Coronatoten pro Tag sterben allein in Brasilien etwa 25 Prozent aller Coronaopfer weltweit. Und dies, obwohl in dem südamerikanischen Land nur drei Prozent der Weltbevölkerung leben. Jair Bolsonaro wird sich für seine eklatanten Fehler in der Coronapandemie vor dem Rest der Welt verantworten müssen. Auch, weil er eine Mitverantwortung für die Ausbreitung der brasilianischen Mutante trägt.

Sérgio Olímpio Gomes, in seiner Heimat auch bekannt unter dem Namen Major Olímpio, war ein Polizist, der vor 15 Jahren begann, sich in der brasilianischen Politik zu engagieren. 2018 arbeitete er zunächst im Bundesstaat São Paulo als Wahlkampfleiter für den heutigen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, kurz darauf gelang auch ihm selbst der Aufstieg in den brasilianischen Senat. Am 18. März dieses Jahres verstarb der Gomes im Alter von 58 Jahren an einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus. Der Ex-Polizist ist bereits der dritte Senator Brasiliens, der der Pandemie zum Opfer gefallen ist. Etwa 4% der Abgeordneten im höheren Haus des brasilianischen Parlaments sind bisher an den Folgen einer Covid-19-Infektion verstorben. Die brasilianische Politik verspürte dadurch am eigenen Leib mit leichter Verspätung einen kleinen Teil des Schmerzes, der für Millionen Brasilianer inzwischen zu einem Teil ihres Alltags geworden ist. Das Land wankt unter der Wucht einer zweiten Infektionswelle, die die erste in puncto Opferzahlen bei weitem übertrifft. Mit durchschnittlich etwa 2.300 Opfern pro Tag beklagt Brasilien heute etwa ein Viertel aller Coronatoten weltweit. Und das, obwohl das Land nur etwa 3% der Weltbevölkerung ausmacht.Gouverneure warnen von einem „Zusammenbruch innerhalb des Zusammenbruchs“Patienten mit schweren Krankheitsverläufen wurden im “kollabierenden” brasilianischen Gesundheitswesen zunehmend von der Versorgung abgeschnitten, zumindest laut eines Berichtes des öffentlichen Forschungsinstituts Fiocruz vom 23. März. In 25 der 27 brasilianischen Bundesstaaten sind die Intensivkapazitäten der Krankenhäuser inzwischen voll ausgeschöpft. 18 Bundesstaaten vermeldeten Lieferengpässe bei lebenswichtigen Medikamenten wie neuromuskulären Blockern, die bei an Beatmungsgeräten angeschlossenen Patienten zum Einsatz kommen. In sechs Bundesstaaten gehen dem brasilianischen Gesundheitsministerium zufolge langsam die Sauerstoffvorräte zur Neige. Das Nationale Forum der Gouverneure warnt wegen der Medikamentenengpässe bereits vor einem “Zusammenbruch innerhalb des Zusammenbruchs.”

 Der Bundesstaat Bahia stehe zwar unter “hohem Druck,” sei von einem Szenario des vollkommenen Zusammenbruchs jedoch noch weit entfernt, so der Gesundheitsminister des nordöstlichen Bundesstaates, Fábio Vilas-Boas. Die Situation vor Ort sei dennoch katastrophal. Die Anzahl der auf Beatmungsgeräte angewiesenen Patienten sei zuletzt geradezu “explodiert.” Manche Krankenhäuser behandelten Patienten bereits in der Notaufnahme, da die Intensivstationen vollkommen überfüllt seien. Surftipp: Alle alktuellen News zur Corona-Pandemie im Live-Ticker Die zweite Pandemiewelle in Brasilien lässt sich grösstenteils auf eine “P.1” genannte, neue Virusvariante zurückzuführen, deren Ursprung womöglich auf die Stadt Manaus im Amazonasgebiet zurückzuführen ist. Die Mutante gilt als noch ansteckender als die Urform des Coronavirus SARS-CoV-2, sie führt bei zuvor infizierten Patienten zudem womöglich häufiger zu Reinfektionen. Diese Tatsachen alarmiert Wissenschaftler sowohl in Brasilien wie auch im Rest der Welt. Die Variante wurde bisher in mehr als 33 Ländern nachgewiesen. Einige Impfstoffe erwiesen sich gegen P.1 als weniger wirksam als gegen ältere Virusvarianten in Europa und den Vereinigten Staaten.Ernsthafte Politik in Brasilien noch knapper als MedikamenteEinige Nachbarländer Brasiliens verbarrikadierten deshalb vor Einreisenden aus Brasilien bereits sämtliche Türen und Tore. Peru und Kolumbien untersagten alle Passagierflüge aus dem Nachbarland. Nur zwei der zehn beliebtesten Reiseziele der Brasilianer erlauben diesen heutzutage noch die Einreise. “Wenn Brasilien nicht langsam Ernst macht, werden die Entscheidungen des Landes auch weiterhin seine Nachbarschaft und die weitere Welt negativ beeinflussen,” warnte Tedros Adhanom Ghebreyesus, der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation.Ernsthaftigkeit scheint im politischen Brasilien heutzutage jedoch noch knapper zu sein als sogar lebenswichtige Medikamente. Präsident Bolsonaro ergeht sich in öffentlicher Quacksalberei, preist ineffektive Pseudoheilmittel an, macht gegen Lockdowns mobil und versuchte mehrfach, die Veröffentlichung epidemiologischer Daten zu verhindern. Vor kurzem entließ er bereits den dritten Gesundheitsminister seit Beginn der Pandemie. Impfstoffe seien “nichts für ihn,” wie Bolsonaro vor Pressevertretern bekannt gab. Seine Regierung bestellte nur wenige Vakzine, obwohl die Firmen Pfizer und Janssen ihre jeweiligen Präparate in Brasilien testeten.

 Lockdowns in Favelas nicht umsetzbarDie Gouverneure und Bürgermeister Brasiliens, die für die Implementierung von Lockdownmaßnahmen zuständig sind, folgten zumeist dem Vorbild ihres Präsidenten. Kurzfristige Lockdowns zu Beginn der Pandemie wurden schnell wieder aufgehoben. Auch wenn Einschränkungen bestanden, unterlief die Rhetorik des Präsidenten jedoch häufig deren Einhaltung innerhalb der Bevölkerung. In den Armenvierteln Bahias lebten die Menschen bis vor Kurzem noch fast wie zu vorpandemischen Zeiten. “Wir können die Bewohner der Favelas nicht dazu zwingen, den ganzen Tag in ihren stickigen, kleinen Häusern zu verbringen,” erklärt Dr Vilas-Boas. Der Bundesstaat verfüge zudem nicht über genügend Polizeikräfte, um sicherzustellen, dass Kneipen und Nachtclubs geschlossen bleiben.Dass eine Mutante wie P.1 ihren Ursprung gerade in einer Stadt wie Manaus genommen habe, sei an sich keine Überraschung, meint Natalia Pasternak, Mikrobiologin und Vorsitzende des Instituto Questão de Ciência, das sich für eine bessere Abstimmung zwischen Politik und Wirtschaft einsetzt. Die erste Welle sei in der Stadt so schlimm gewesen, dass Beobachter gar davon ausgegangen seien, Manaus habe bereits die Schwelle zur Herdenimmunität erreicht. Nach Abklingen der ersten Welle strömten die Bewohner von Manaus allerdings bei erster Gelegenheit zurück an die Stadtstrände und verschafften der P.1-Mutante somit einen klaren Startvorteil. Andere Landesteile öffneten der Mutante kurz darauf auf ähnlich leichtsinnige Weise alle Türen und Tore. Obwohl Brasilien seine positiven Tests nur selten sequenziert, ergaben Stichproben in der Stadt São Paulo zuletzt eine P.1-Prävalenz von 80-90%.  Nächtliche Ausgangssperre ab 18 UhrP.1. bereitet Beobachtern besonders viel Sorge, weil die Mutante im Vergleich zur ursprünglichen Variante des Coronavirus sowohl ansteckender ist, als auch häufiger bei Menschen, die eine Covid-Erkrankung bereits ausgestanden haben, zu erneuten Infektionen führt. Eine wissenschaftliche Studie ermittelte zuletzt, dass P.1 zweifach ansteckender sein könnte, und 25-61% der auskurieren Covid-19-Patienten erneut krank machen könnte. P.2, eine besorgniserregende Mutante aus Rio de Janeiro, breitet sich inzwischen ebenfalls im Land aus.

 Der Schock der zweiten Welle verändert nun das Verhalten der Menschen in Brasilien. Gouverneure und Bürgermeister verschärften viele Beschränkungen und mehr Menschen halten sich an die Regeln zur Eindämmung des Virus. Vom 22. März an beginnt eine nächtliche Ausgangssperre in Bahia bereits um 18.00 Uhr, statt zuvor erst um 22.00 Uhr. Mobilfunkdaten zufolge reduzierten die Einwohner Bahias ihre Mobilität zuletzt um etwas mehr als die Hälfte. Dadurch verlangsamte sich auch die weitere Ausbreitung des Virus. Dr. Vilas-Boas schätzt, dass die Zahl der aktiven Coronafälle in Bahia zuletzt von 21.000 auf 17.000 sank. Die Zahl der Patienten, die auf ein freies Intensivbett warten müssen, fiel nach dem 12. März von 513 auf 280 zehn Tage später.Anfang des Monats stimmte die brasilianische Bundesregierung endlich dem Erwerb mehrerer Impfstoffe von Pfizer und Janssen zu. Diese sollen zu den chinesischen und britischen Impfstoffen dazukommen, die bereits heute in Brasilien eingesetzt werden. Das Land kurbelt zudem auch die heimische Impfstoffproduktion an. Fiocruz lieferte kürzlich die ersten seiner hausgemachten AstraZeneca-Impfstoffdosen aus, das Institut Butantan in São Paulo produziert die chinesische Vakzine CoronaVac. 8% der erwachsenen Brasilianer haben ihre erste Impfdosis bereits erhalten. “Zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie,” meint Natalia Pasternak, “verspüre ich ein wenig Hoffnung.”Am 23. März, einem Tag, an dem rekordverdächtige 3.158 Brasilianer ihrer Covid-19-Erkrankung erlagen, protzte Präsident Bolsonaro noch im öffentlichen Fernsehen mit der fortschreitenden Impfkampagne seines Landes. Solange die Pandemie aber noch mit nichtpharmazeutischen Maßnahmen bekämpft werden muss, bleibt Bolsonaro eine Bedrohung für die Gesundheit aller Brasilianer. Der Präsident verklagt Bahia und zwei weitere Bundesstaaten, die ihre Lockdownmaßnahmen zuletzt verschärften, vor dem obersten Gerichtshof des Landes. Bolsonaros Entscheidungen sind schlecht für Brasilien – und sie sind schlecht für den Rest der Welt.Dieser Artikel erschien in der Amerika-Rubrik der neuesten Printausgabe des The Economist unter der Überschrift “Variants on a theme of disaster“ und wurde übersetzt von Lukas Wahden.
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